Der Morgen war dunstig und wir wappneten uns mit Regenjacken und Pulli für unsere heutige Wanderung. Mit dem Velo ging es nach Étretat und von dort zu Fuss auf den Küstenwanderweg Richtung Norden. Oberhalb der Stadt steht eine Kapelle und ein Garten mit Kunstobjekten lädt zur Besichtigung ein. Wir gingen weiter, um dem Touristenstrom zu entfliehen, der sich wie eine Ameisenstrasse auf den Klippen entlang zieht. Die Aussicht war fantastisch und es klarte langsam auf. Nachdem wir die berühmten Klippen im Gegenlicht bewundert hatten, gingen wir zurück in die Stadt und suchten uns ein Restaurant, wo es ein letztes Mal Moules-Frites gab. Es war sehr fein in der Brasserie Bistretatais. Nach dem Essen gönnte ich mir einen 20 Jahre alten Calvados, ein typisch normannischer Genuss!
Ich bin völlig begeistert von der Stadt, weil sie so viele fantasievolle alte Häuser hat. Der Baustil ist sehr eigen, es werden rote und ganz helle Backsteine zusammen verwendet, dazu Fachwerk und Mauern aus Feuerstein. Zwischen den Kalkschichten der Sedimente lagern nämlich bei näherer Betrachtung Feuersteinbrocken, auch auf dem Wanderweg sah man sie überall herumliegen. Bei diesen Mengen ist es verständlich, dass sie für den Hausbau verwendet wurden, aber nicht so wie sonst bei Natursteinfassaden, sondern ganz ordentlich mit etwa gleich grossen Steinen und mit Mörtel quadratisch abgegrenzt. Das sie sehr speziell aus. Die verschiedenen Baumaterialien ergeben ein buntes und sehr originelles Stadtbild. Ob andere Städte an dieser Küste ähnlich aussehen? Wir wissen es nicht.
Mir gefallen die französischen Grafiken, die es überall als Postkarten oder Poster zu kaufen gibt und die typische Landschaften, Möven, Fische oder das Strandleben zum Thema haben. Auch die Warnschilder sind in diesem Stil dargestellt.
Nach dem Essen gingen wir wieder steil hinauf auf den Küstenwanderweg Richtung Süden. Die Aussicht war noch schöner, weil die weissen Wände im Sonnenlicht leuchteten und der Himmel inzwischen tief blau war. Wir gingen bis zu dem Punkt, an dem wir gestern mit den Velos waren und dann durch hohes Farnkraut steil hinunter zum Plage d’Antifer. Das ist ein toller Strand! An der nördlichen Seite sind Höhlen in die senkrechten Klippen gegraben worden, vermutlich im 2. Weltkrieg. Die deutschen Truppen hatten an der gesamten Küste im Rahmen des sogenannten Atlantikwalls sehr viele Bunker und Abwehranlagen errichtet. Die Alliierten kamen dann aber weiter westlich an, dort waren wir 2021.
Die andere Seite des Strandes, der aus runden Kieseln besteht, ist weitläufig und einsam, zum Baden aber nicht so geeignet, da das Ufer felsig ist und voller Algen. Überhaupt ist das Wasser hier graugrün und trüb und nicht so schön türkis wie in der Bretagne. Zum in der Sonne liegen war es aber sehr angenehm und wir gönnten uns ein Schläfchen.
Wir kamen erst nach 19 Uhr wieder bei unseren Velos an und fuhren direkt zurück zur Pusseline. Das war ein anstrengender und sehr schöner Tag - wir haben so viel Glück mit dem Wetter, es ist kaum zu glauben!
Nachtrag zu gestern: die strohigen Halme mit den runden kleinen Samenhülsen auf den Fotos zeigen gemähten Flachs/Lein, der in dieser Gegend häufig angebaut wird. Er lag zum trocknen aus und wurde heute eingeholt. Ich hatte das noch nie gesehen. Die Normandie ist das grösste Flachsanbaugebiet Frankreichs. Der grösste Teil davon wird nach China exportiert.